Ich bin keine „Eltern“-Leserin. Deswegen weiß ich auch nicht, was mich erwartet, wenn jemand über das Stoffwickeln mit dem Titel „Grün gewickelt“ in der 4/2014 schreibt. Es ist sicherlich eine Herausforderung, auf zwei Seiten ein Thema zu umreißen, das den meisten „Eltern“-Lesern wahrscheinlich gänzlich unbekannt ist. Aber das sind ja Profis, die da schreiben. Die kriegen das schon hin.
Soll ich es gleich vorweg nehmen? Nunja, ich glaube, meine Kritik gibt nicht so sehr viel her für eine dramatische Spannungskurve. Ich war, gelinde gesagt, schockiert. Nicht, dass jemand das Stoffwickeln wenig überzeugend findet. Das kann durchaus passieren und ist auch völlig legitim. Ich war es viel mehr über die unzureichende Recherche, die sich durch jede geschriebene Zeile offenbarte.
Die Autorin Christiane Börger hält sich also für einen mehr oder weniger umweltbewussten Menschen, dem immerhin beim zweiten Kind nun auffällt, dass der Windelmüllberg doch recht groß ist. Es wird aus ihren Worten nicht ersichtlich, ob sie sich hat beraten lassen. Die Abhandlung, die folgt, macht es allerdings offensichtlich.
Beim Klick auf „Jetzt kaufen“ tränen mir ein bisschen die Augen. Für drei Windeln plus Einlagen plus Windelvlies bezahle ich knapp 100 Euro.
Sicherlich, 100 Euro für drei Windeln auszugeben (das müssen ja Luxuswindeln gewesen sein!) sind eine Investition. Wenn man sich nicht sicher ist, muss man schon schlucken. Aber erstens gibt es Stoffwindeln auch in günstigeren Preisklassen, ohne gleich zum Origamimeister werden zu müssen, zweitens kann man Stoffwindeln prima gebraucht kaufen und drittens bei Nichtgefallen wieder verkaufen (was bei WWW nur schwer möglich ist…). Und seien wir mal ehrlich, wie viel hat der letzte Hightech-Schneeanzug gekostet, den das Kind zwei Mal anhatte und der im nächsten Jahr zu klein sein wird?
Schon nach zwei Stunden ist die Strumpfhose vom Kleinen nass. Irgendwie hat sich die Baumwolleinlage zusammengewurschtelt, …. Die (Fleeceeinlage) hat den Nachteil aller waschbaren Stoffeinlagen: Sie saugt die Flüssigkeit nicht halb so gut auf wie eine Einwegwindel.
Die Baumwollwindel hält also keine zwei Stunden, weil sie zerknautscht, und die Fleeceeinlage wiederum nicht so lange wie eine Wegwerfwindel. Eine Stoffwindelberaterin würde jetzt fragen: Frau Börger, haben Sie die Windeln eingewaschen? Kennen sie das von Ihren Handtüchern? Die saugen auch nicht gleich nach der ersten Wäsche. Und Fleece leitet die Feuchtigkeit weiter an eine saugende Schicht, während es selbst trocken bleibt. Es handelt sich also gar nicht um eine saugende Einlage per se, was den Vergleich mit einer WWW ziemlich absurd macht. Womit wir schon beim nächsten Punkt wären.
Wer aber Einwegwindel gewohnt ist und sie auch mal fünf Stunden am Windelpo lässt, wird ein rotes Wunder erleben.
Wenn schon Fleece eingesetzt wurde, dürfte der Hintern auch nicht nass gewesen sein. Aber auch wenn: normalerweise macht einem Babyhintern Nässe nichts aus. Ich tippe hier also – falls es wirklich einen wunden Po gab – eher auf Umstellungsreaktionen, die ganz normal sind, wenn die Haut auf WWW eingestellt ist (das Phänomen gibt es auch anders herum), auf ein zahnendes Kind oder auf Materialunverträglichkeit. So oder so, bei einem wundem Po gibt es Lösungen für sehr unterschiedliche Ursachen. Sicherlich, es gibt mitunter auch Babys, die Stoffwindeln partout nicht vertragen, obwohl mir so ein Fall noch nicht begegnet ist. Was mich nur aufhorchen lässt: Warum wird dies sofort bei der Erwähnung von Stoffwindeln thematisiert, während ein wunder Po bei WWW-Nutzung im Stillen mit Salbe und Co bekämpft und nebenbei der Rat vom Kinderarzt, es doch mal mit Stoffwindeln zu versuchen, geflissentlich überhört wird? Schmieren wir doch lieber noch eine Zinkschicht drauf. Ein wunder Po entsteht meistens durch eine veränderte Zusammensetzung des Urins, z. B. in Zahnungsphasen oder bei Krankheit, nämlich durch einen erhöhten Anteil an Bakterien, die bestimmte Stoffe darin in Ammoniak umwandeln. Dieser Effekt wird besonders in Kontakt mit Stuhl verstärkt. Da hilft weder eine Stoffwindel noch eine WWW, sondern nur häufiges Wickeln, viel Luft, also am besten ein gänzlich windelfreier Umgang. Einen wunden Po auf das Stoffwickeln zurückzuführen, finde ich schlichtweg zu einseitig.
Das eben genannte Zitat lässt mich auch zu Folgendem aufhorchen. Eine Zeitschrift für Eltern vermittelt eben jenen, dass es okay ist, eine WWW fünf Stunden am Hintern zu lassen? Ist das Ihr Ernst, Frau Börger? Mal abgesehen von meinem just geschilderten Argument für häufiges Wickeln erhöht sich beim WWW-Wickeln die Temperatur im Windelbereich um 1-2 Grad Celsius. Das mag nicht viel klingen, aber ein Hoden, der den lieben langen Tag die gleiche Temperaturumgebung hat wie IM Körper anstatt eigentlich 2 Grad kühler zu verweilen… das kann nicht gesund sein. Ärzte empfehlen sogar gerade bei Jungs, bei Fieber auf Stoff oder windelfrei umzusteigen, da die Temperatur in der Plastikwindel zu hoch sein könnte. Noch dazu entzieht der völlig überdimensionierte Anteil an Superabsorber der Babyhaut jegliche Restfeuchtigkeit, über fünf Stunden… aber das nur am Rande.
Dann verstehe ich Ihre Argumentation beim Ausrechnen des Wäschebergs nicht: alle drei Stunden wechseln ergibt acht Windeln pro Tag ergibt Unmengen dreckiger Wäsche. Das suggeriert ja geradezu, dass sich jeder Stoffwickler nachts den Wecker stellt und just alle drei Stunden seine Stoffberge hervorzieht. Natürlich ist das nicht so. Sie haben doch selbst geschrieben, dass es unterschiedliche Materialien gibt. Und ja, das macht sogar Sinn, denn die kann man je nach Saugbedarf einsetzen. Eine Stoffwindel kann jedenfalls sogar eine Nacht ohne Wechsel durchstehen. Ganz nebenbei: unsere Tochter hatte nach einer stoffgewickelten Nacht immer die schönste rosige Babyhaut. Urea macht es möglich.
Und dann, haben Sie schon mal eine prall gefüllte WWW mit einer vollen Stoffwindel verglichen? Genau, so groß ist der Unterschied nicht, denn erstere wächst mit jedem Tropfen, und zweitere bleibt so, wie sie ist. Dementsprechend ist der „Wäscheberg“ nicht notwendigerweise größer als der Müllberg. Im Gegenteil, es gibt Systeme, die sogar sehr wenig Wäsche verursachen, indem Einzelteile intelligent ausgewechselt werden können.
Ob ich nun den Müll ins Auto hieve, zum Wertstoffhof fahre, entsorge und wieder zurück fahre (nebenbei, wie wird denn dann das Auto ausgelüftet?), oder einen Wäschesack in die Waschmaschine packe, einen Knopf drehe und 20 (herrje!) Windeln aufhänge oder in den Trockner schmeiße… Da wähle ich doch lieber den Weg zur Waschmaschine. Und, sagen Sie mal, Frau Börger, wie kommen Sie auf die Idee, die vollgepinkelten Windeln vor der Wäsche auf einer Leine zu trocknen? Woher kommt der Gedanke? Und was soll das bezwecken? Das interessiert mich wirklich, denn das habe ich noch nie gehört.
In der gewonnenen Zeit beruhige ich mein schlechtes Umweltgewissen mit intensiver Internet-Recherche. Offenbar ist die Ökobilanz von Wegwerfwindeln gar nicht so viel schlechter als von Stoffwindeln.
Ich kann mir vorstellen, woher Sie diese Information haben. Es gibt nämlich nur eine einzige, halbwegs ernstzunehmende Studie (Procter und Gamble finanzierte also mal ausgenommen), die dieses Fazit hergibt. Eine britische Studie, die sich den gesamten Life Cycle von sowohl WWW als auch Stoffwindel vorgenommen hat. Eine Studie, die 2005 Kritik aushalten musste, weil da falsche Messdaten verwendet wurden, die dann 2008 überarbeitet wurde. Das Ergebnis ist in etwa das, was Sie berichten. Allerdings mit einem anderen Ton. Es ist nämlich ein enormer Vorteil, die Ökobilanz SELBST, also durch das eigene Handeln beeinflussen zu können, während dies beim WWW-Wickeln schier unmöglich ist, da die größte CO2-Schmach in der Produktion liegt. Nebenbei umfasst die Studie aufgrund ihrer Datierung bei der Energieberechnung lediglich Haushaltsgeräte bis zur Energieverbrauchsstufe A+. Heutzutage erreichen Waschmaschinen und Trockner der Kategorie A+++ weitaus niedrigere Werte. Wenn Sie mir aktuelle, unabhängige Studien zu dieser Thematik präsentieren könnten, wäre ich sehr dankbar über eine Information.
Schön, dass Sie Ihr Gewissen beruhigen konnten, und dass die Bequemlichkeit (?) gesiegt hat. Nur dass Sie möglicherweise interessierte Leser in die Irre führen, indem Sie Ihre Erfahrungen ohne weitere Perspektiven, Quellen und Stimmen darstellen, macht es für mich unmöglich, die wenigen guten Stellen des Textes zu registrieren. Schade auch, dass Sie kein Wort über die gesundheitlichen Aspekte verlieren. Oder die spannenden Unternehmergeschichten von Frauen, die sich rund um die Stoffwindel Existenzen aufgebaut haben. Es sind nicht internationale F&E-Teams, die im Labor daran forschen, wie man NOCH dünnere Windeln entwickeln kann. Es sind Frauen (okay, Eltern, aber doch meistens Frauen), die die Stoffwindel mit Leidenschaft und einem großem Stück Idealismus aus der Ökoecke rausholen. Nämlich genau für diejenigen, für die das Stoffwickeln nicht erst zur Lebenseinstellung werden muss. Echt jetzt. Was wollten Sie denn eigentlich mit dem Beitrag erreichen?
Wenn es Ihnen hilft, und die 100€ jetzt nicht zum Fenster rausgeschmissen sein sollten, biete ich Ihnen gern ein Gespräch an. Vielleicht kriegen Sie ja noch die Kurve?